Kolonisten- und Familienforschung
Kolonisten- und Familienforschung

Denkmal für 74 Kolonisten-Familien

In Großjörl wurde vom Arbeitskreis Plaggenhacke ein neuer Gedenkstein enthüllt. Spender aus den USA, Sibirien und Deutschland.

Jörl | Der Arbeitskreis Plaggenhacke, Kolonisten- und Familienforschung, dem zurzeit 240 Mitglieder angehören, hat in der Gemeinde Jörl einen Gedenkstein für die Kolonisten im ehemaligen Herzogtum Schleswig errichtet. Anhand dieses Steins soll ein Stück der Kolonistengeschichte sichtbar gemacht werden.

Spender aus den USA und aus Sibirien, Deutschland, die Gemeinde Jörl, die Kulturstiftung des Kreises Schleswig-Flensburg und die Firma Henningsen aus Schuby haben sich an diesem Werk finanziell beteiligt. Heute – etwa 230 Jahre nach der Kolonisation – leben in zehnter Generation viele Nachkommen der russischen Kolonisten, die an der Wolga eine neue Heimat fanden, wieder in Deutschland. Ihren Vorfahren wurde der Gedenkstein gewidmet, auf dem 74 Familiennamen eingearbeitet sind, die zwischen 1763 und 1766 der Einladung von Catharina II. folgten und nach Russland weiterzogen.

Der Arbeitskreis-Vorsitzende Christian Winkel begrüßte neben den Dorfbewohnern zahlreiche Gäste, die aus ganz Deutschland angereist waren, und freute sich über das rege Interesse an der Enthüllung des Monuments. Er dankte allen Beteiligten, die die Geschichte der Kolonisten verfolgt und erarbeitet haben. “Sie essen schwarzes Brot und brennen schwarze Erde”, hätten die Kolonisten einst gesagt, als sie 1761 bis 1765 in das “gelobte” Herzogtum kamen und dem Ruf des dänischen Königs und schleswig-holsteinischem Landesherrn Friedrich V. zur Besiedlung der öden Moor- und Heideregionen folgten, denn er hatte ihnen ein Haus, eigenes Land und finanzielle Unterstützung versprochen. Sie kamen aus vielen Teilen Deutschlands, hauptsächlich aus Baden-Württemberg, Hessen und der Pfalz und traten die etwa siebenwöchige Reise in Trecks von Frankfurt nach Hamburg-Altona an. Von dort wurden sie von dänischen Beamten im Herzogtum Schleswig, in den Ämtern Gottorf, Flensburg und Tondern verteilt.

Zwar erhielten sie die für den Neuanfang erforderliche Ausrüstung wie Vieh, Saatgut, Gerätschaften und Tagegeld zur Überbrückung bis zur nächsten Ernte. Sie mussten jedoch erst Häuser errichten und lebten in Erdhütten oder Ställen. Auch mussten Heide und Moor urbar gemacht und zu Pflugland und Wiesen kultiviert werden, eine mühsame Arbeit, bei der die so genannte “Plaggenhacke”, nach der der Arbeitskreis benannt ist, zum Entfernen der Soden (Plaggen) zum Einsatz kam. Es begann ein entbehrungsreiches Leben.

Als der dänische König nach einem Jahr die Tagegelder kürzte, gerieten viele Kolonisten in Not und gaben nach wenigen Jahren auf. Über 50 Prozent der dänischen Kolonisten folgten aufgrund der schwierigen Lebensumstände dem Ruf Catharina II. von Russland und nahmen eine weitere beschwerliche Reise auf sich, in der Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse in Russland. Von Lübeck aus kamen sie per Schiff nach St. Petersburg, danach auf dem Wasserweg der Wolga oder auf dem Landweg über Moskau nach Saratow und waren etwa vier bis zwölf Monate unterwegs. Auch an der Wolga erwarteten die Siedler schwierige Verhältnisse. Erste Kolonisten wurden in den Steppendörfern von den Nomaden überfallen und auf Sklavenmärkten nach Sibirien verkauft, Missernten führten zu Hungersnöten. Wegen der Schulden war das Verlassen der Kolonien in Russland nicht möglich Erst die zweite Generaton gewöhnte sich allmählich an die neuen Gegebenheiten. 1990 begann eine Rückwanderung.

Nach der Enthüllung des Gedenksteins wurde den Teilnehmern im Dienstleistungszentrum Eggebek die Kolonisten-Wanderausstellung in deutscher und dänischer Sprache präsentiert, ein Gemeinschaftswerk des Arbeitskreises Plaggenhacke und der Lokalhistorisk Forening for Tinglev Komune.

Karina und Julia Schmidt, Nachkommen der Familie Ziegler, enthüllen den Stein (rechts: Arbeitskreis-Vorsitzender Christian Winkel). Foto CTH

Quelle: Flensburger Tageblatt, cth, 24. Mai 2013

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